Perfektionitis, Teil 2

Wenn du alles immer wieder korrigieren und umformulieren musst ...

Im Grunde kommst du mit dem Schreiben voran, es dürfte aber gerne ein wenig schneller gehen. Du hast immer wieder das Gefühl auf der Stelle zu treten. Anstatt zu schreiben springst du immer wieder im Text zurück, um spontan alles Mögliche an deinem Text zu überarbeiten. Mal springt dir ein Rechtschreibfehler ins Auge, mal findest du ein Wort nicht ganz passend und suchst nach einem treffenderen Begriff. Immer wieder schreibst du auch ganze Sätze oder noch größere Teile des Texts um. Jede dieser Aktionen verbessert deinen Text ein kleines Bisschen. Die Fertigstellung verzögert sich dadurch allerdings immer weiter.

Ein naheliegender Ratschlag ist, das Überarbeiten auf später zu verschieben und zunächst eine Rohfassung des kompletten Texts zu schreiben. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Wenn ein Problem erst einmal aufgefallen ist, wird der Gedanke daran schnell zum Klotz am Bein, den du so lange mitschleifst und der dich so lange ausbremst, bis du dich darum gekümmert hast. Der Effekt, dass man sich an unerledigte Aufgaben stärker und detailreicher erinnert als an erledigte, nennt sich Zeigarnik-Effekt. Das hat durchaus seine guten Seiten, denn so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein unbearbeitetes Problem nicht in Vergessenheit gerät. Andererseits raubt dir ein Problem, das ständig in deinem Kopf herumkreist, Ressourcen, die du eigentlich für Wichtigeres gebrauchen kannst. Die Überarbeitung sofort auszuführen, dient also dem Zweck, den Kopf wieder frei zu bekommen für die Textproduktion – und trotzdem kann es diese auch behindern. Viele der oben beschriebenen Überarbeitungen sind eher Problemchen als Probleme, dafür treten diese Mini-Probleme allerdings in Rudeln auf. Der Versuch bewusst und aktiv nicht an etwas zu denken, geht meistens nach hinten los. So ist es auch hier. Dazu kommt die Befürchtung, evtl. doch den einen oder anderen Punkt wieder zu vergessen, so dass er bei einer späteren Überarbeitung untergehen würde.

Ein Lösungsansatz sollte im Idealfall diese Eigenschaften besitzen: Du bekommst die unerledigte Aufgabe – z.B. eine Textstelle, die du noch einmal umformulieren möchtest – aus dem Kopf. Du verbringst nicht viel Zeit damit, d.h. in der Regel wird die Bearbeitung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Es ist sichergestellt, dass du zu diesem späteren Zeitpunkt an die Aufgabe erinnert wirst. Dieser letzte Punkt ist wichtig, damit du dich in der Zwischenzeit entspannt mit dem Weiterschreiben beschäftigen kannst. Eine Methode, die genau darauf abzielt, diese Bedingungen zu erfüllen, ist die sog. Partitur. Kurz gesagt geht es dabei darum, Stellen im Text, die noch einmal Aufmerksamkeit benötigen, mit kurzen Markierungen zu kennzeichnen. So ist sichergestellt, dass nichts davon verlorengeht. Später kannst du die Markierungen gebündelt effizient abarbeiten.

Ein anderer Ansatz wäre, diesem Phänomen komplett aus dem Weg zu gehen, indem du „mit Scheuklappen“ schreibst: Immer nur vorwärtsschauen, Geschriebenes nicht noch einmal lesen, überarbeiten schon gar nicht. Eine Methode, um auf diese Weise zu schreiben, ist das fokussierte Freewriting. Das auszuprobieren kann ich auch dann empfehlen, wenn das Konzept dir auf den ersten Blick etwas befremdlich vorkommen sollte. So findest du heraus, ob es etwas für dich ist.

Ein abschließender Gedanke noch zu dem Grundsatz, Überarbeitungen möglichst auf später zu verschieben. In den allermeisten Fällen ist das eine gute Strategie, um den Fortschritt der Textproduktion sicherzustellen, wenn dieser durch ständige Überarbeitungen ausgebremst wird. Es kann aber auch gute Gründe geben, von dieser Regel gelegentlich abzuweichen. Zwei dieser Gründe sind: Die Änderungen am Text sind ganz besonders klein und somit innerhalb von Sekunden erledigt. Oder es sind sehr umfangreiche Änderungen und Umstrukturierungen notwendig, die längere Abschnitte des Texts betreffen. Ein zufällig entdeckter Tippfehler ist möglicherweise ebenso schnell korrigiert wie für später markiert. Falls du allerdings die korrekte Schreibweise eines Wortes nachschlagen musst, bevor du es korrigieren kannst, wäre es sinnvoller, das auf später zu verschieben. Aktiv nach Rechtschreibfehlern zu suchen, sollte natürlich sowieso später gebündelt stattfinden und nicht während der laufenden Textproduktion immer wieder in kleinen Häppchen. Rechtschreibfehler und auch Fragen der Formulierung einzelner Sätze haben die Eigenschaft, dass sie sich nicht auf die Struktur und die logische Konsistenz deines Textes insgesamt auswirken. Jede einzelne Stelle dieser Art kann ohne irgendwelche Nebenwirkungen für sich allein korrigiert werden. Sie gebündelt zu bearbeiten ist jedoch wesentlich effizienter. Anders verhält es sich damit, wenn dir während des Schreibens plötzlich ein Problem mit der Struktur des Texts oder mit der Logik deiner Argumentation auffällt, das nicht durch eine Korrektur an Ort und Stelle behoben werden kann, sondern große Teile deines Texts betrifft. Das kann ein Anlass sein, innezuhalten und zu überlegen, ob es notwendig wird, größere Umstrukturierungen vorzunehmen. Auf keinen Fall solltest du leichtfertig „alles umwerfen“. Aber wenn du zu dem Schluss kommst, dass gewisse Umbaumaßnahmen unausweichlich sind, kann es Sinn ergeben, diese sofort auszuführen und dafür die Textproduktion zu unterbrechen. In so einem Fall solltest du dir die Frage stellen, ob du den jetzt geschriebenen Text später weiterverwenden kannst, wenn du erstmal einfach weiterschreibst oder ob du jetzt schon weißt, dass du alles jetzt Geschriebene noch einmal umschreiben musst. Falls Letzteres zutrifft, wäre es nicht sinnvoll, die Änderungen bis zu den abschließenden Überarbeitungen aufzuschieben. Denn dann wird der Aufwand für diese spätere Überarbeitung immer größer, je mehr Text du schon geschrieben hast. In jedem Fall solltest du aber vor größeren Umstrukturierungen oder bevor du evtl. sogar Teile deines Texts löschst und neu schreibst, eine Sicherungskopie des bisherigen Standes deiner Arbeit anlegen. Der Idealfall wäre natürlich, dass du sowieso regelmäßig Backup-Kopien machst, so dass sich das von selbst ergibt. Dass es im Arbeitsprozess unvorhergesehen zu größeren Änderungen am Text kommen kann, ist noch ein weiterer Grund dafür, die Korrektur von Rechtschreibung & Co. auf später zu verschieben: Wenn du diese kleinen Korrekturen zu früh ausführst, machst du dir evtl. unnötige Arbeit, wenn die betreffende Stelle gar nicht so bleibt, sondern letztendlich doch noch einmal grundlegender überarbeitet werden sollte.

Veröffentlicht: , zuletzt aktualisiert: 06.04.2025